Seenotfall

Mayday, Mayday, Mayday …

Vor einigen Jahren habe ich ein Buch über Sturmgeschichten gelesen:
STURM – Segler über Ihre dramatischen Stunden.

Damals waren das weit entfernte Horrorgeschichten die man einfach nicht erleben will – niemals hätte ich gedacht, dass ich einmal meine eigene Sturmgeschichte schreiben werde: 

Zwei Tage zuvor machte uns die erste Wetterinformation darauf aufmerksam, dass sich ein Tief nähert und wir etwas stärkere Winde zu erwarten hätten. Zu diesem Zeitpunkt war noch alles in Ordnung.

Einen Tag zuvor bekamen wir nochmal die Info, dass der Wind noch stärker wird als am Vortag angekündigt. Wind 40kn. Boen bis 55kn. Von einer weiteren unbeteiligten Person bekamen wir die Info, dass es sogar Boen bis 70kn geben soll. 

Ab diesem Zeitpunkt war Alarmstufe Rot. Wir haben das Boot Sturmfest gemacht: Jeden Windfang abgebaut, alles Weggeräumt. Alle Leinen die wir hatten, für das ablaufen vor der Welle bereitgelegt. Weil man auf einem Katamaran besonders aufpassen muss, haben wir auch noch die Gewichtsverteilung in beiden Rümpfen optimiert. (Stichwort: mehrere hundert Liter Trinkwasser in Kanister, 400Liter extra Diesel, … ). Sturmklar. Mehr können wir zu diesem Zeitpunkt nicht machen. 

Der Tag der Tage: der Wind klettert auf noch „gemütliche“ 35-40kn, die Welle wächst. Wellenreiten für Fortgeschrittene. Der Himmel zieht sich zu, wir werden von tiefschwarzen Wolken umzingelt. Im Laufe des Nachmittags beschließen wir nur mehr vor der Welle abzulaufen, die Fock eingerollt auf ungefähr einen Meter um noch manövrierfähig zu bleiben. Das Großsegel war längst im Lazybag sicher verstaut. Die Situation ist in diesem Moment noch „entspannt“, wir haben unter diesen Bedingungen sogar noch einen Geburtstagskuchen gebacken und gingen davon aus, dass die Situation so bleibt. 

Gegen Abend mussten wir feststellen, dass die Windanzeige noch weiter nach oben klettert, die Situation war schön langsam etwas unentspannt. Die Welle ist mittlerweile auf geschätzte 6m gewachsen.  „Wellenreiten“ wurde dem Namen immer gerechter. Die Welle runter erreichten wir Geschwindigkeitsspitzen von 17kn. Heftig.

 

Gegen frühen Morgen drehte der Wind und kletterte immer weiter nach oben, in Boen haben wir zu diesem Zeitpunkt das erste Mal 68kn gemessen. Windstärke 12! MINUTENLANG ging die Windanzeige nicht mehr unter 65kn. Es bildete sich eine zweite seitliche Welle die uns immer wieder traf. Das war unter anderem auch deswegen so schlimm, weil man sich im finsteren nicht auf die anrollende Welle vorbereiten konnte. Um 4:15 morgens traf uns ein Schlag der mit einem Torpedo vergleichbar war. Zu diesem Zeitpunkt saß ich im Salon und wärmte mich von meinem Dienst etwas auf und wollte etwas Ruhe tanken. Als ich durch den Schlag quer über den Tisch katapultiert wurde und beinahe kopfüber in den Steuerbord Niedergang geschleudert wurde. Der Kühlschrank ging auf und entleerte sich, alles was herumlag (obwohl wir schon soviel wie möglich weggeräumt hatten) flog durch die Gegend. Der Boden war übersäht von Lebensmitteln und anderen Dingen. Mein Ellbogen hat das voll abbekommen und ich brauchte ein paar Minuten für mich. Ein Crewmitglied kam hoch und fragte ob alles klar ist, er wäre vom Bett hochkant gegen die Wand geflogen. Ein anderer überbrachte eine noch heftigere Nachricht: „Unser Bad hat es vollständig zerfetzt“. Wir mussten feststellen, dass das nicht übertrieben war. Sofort checkten wir ob wir noch „dicht“ sind – ja sind wir. Gut so. Der Skipper kommt klatschnass zu uns und meinte die Welle hat ihm am Steuerstand, ca. 2,5m über der Wasserlinie, umgerissen und hätte Ihn weggespült, wäre er nicht gesichert gewesen. Ich habe Angst. 

Nach kurzer Erholung stellten wir fest, dass die max. Geschwindigkeit am Plotter bei einer Spitzengeschwindigkeit von 30,4!!! kn, stehen geblieben ist (die Welle runter?!). Wir brauchen einen Schlachtplan, also brachten wir nun vier Leinenbuchten am Heck aus um unsere Geschwindigkeit etwas zu bremsen, mit Erfolg. Die restliche Zeit ging der Wind wieder etwas zurück und pendelte sich bei ungefähr 50kn konstant ein.

 

Weitere zwei Tage hielt uns der Sturm auf Trab bis wir wieder eine Spur Entspannung verspüren durften. Ich muss nicht dazusagen, dass wir aus dem Ölzeug kaum noch rauskamen, alles ist nass, es war permanent saukalt, kaum noch Schlaf. Wir sind erschöpft. Im Wetter-Funk gab es die Info, dass die Wellen eine maximale Höhe von 8m erreicht hätten.

 

Dann haben wir schwere Risse an der Außenhülle entdeckt und beschlossen die restlichen 1000Sm ans Festland nicht mehr anzutreten. Zu diesem Zeitpunkt waren wir ca. 30 Sm von Santa Maria (Azoren) entfernt – hier sollte unser Nothafen sein. Hieß aber einen gefährlichen Amwindkurs steil zur Welle fahren zu müssen, wir hatten nur mehr einen funktionierenden Motor, da Wasser im Dieseltank. 

 

Drei Stunden lang kamen wir der Insel mit mühsamen 2-3kn näher. Ich stehe im Salon und sehe den Wellen zu, bis sich eine sehr ungünstige Konstellation aus Wellental und brechender Welle auftut auf die wir gerade zufahren. Die Welle ist deutlich größer als die Wellen zuvor. Ob das gut geht?

Mit einem satten Knall fliegen die Bruchstücke vom Frontfenster um meine Ohren (im wahrsten Sinne des Wortes). „Fuuuuuuuck!“ das ganze Schiff wurde mit enormen Wassermassen geflutet. „Zwei an die Handbilge!“ Mit den Sitzauflagen und der zuvor herausgeflogenen Badtür haben wir das Fenster notdürftig abgedichtet. Die ganze Elektronik vom Kartentisch stand unter Wasser. Wie lange funktioniert noch alles? Kommt noch eine Monsterwelle? Ich setze einen DSC Notruf ab, bis der Skipper heraneilt und nochmal das Funkgerät bedient: „Mayday, Mayday, Mayday, this is Ocean Light … “ Es war ca. 13:00 lokaler Zeit.

Für einem Moment war ich mir nicht sicher ob ich gerade schlecht Träume, ich bin klatschnass, mir ist saukalt, das ist echt. Ich bemerke noch, dass mein Tracker auch im Wasser liegt, ich sende noch einen Notruf an mein Backoffice via Sattelit, das Display flimmert in diesem Moment schon, einige Minuten später bekomme ich noch eine kurze Rückmeldung von Papa, kaum habe ich diese Nachricht zu Ende gelesen, wurde das Display schwarz.

Es dauert Ewigkeiten bis sich am Funk wer zum Notfall meldet. Angeblich wurden schon 5 umliegende Schiffe informiert. Als nächstes wurden wir gefragt, ob wir einen Hubschrauber brauchen der uns abbergen kann. Würde aber heißen, wir geben das Schiff auf. „Das können wir nicht machen, es schwimmt noch“. Jeder von uns hat seinen Notfallrucksack mit den wichtigsten Dingen gepackt – für den Fall der Fälle. Als wir diese Variante ablehnten, wurden wir darauf hingewiesen, dass der Hubschrauber in 5h vermutlich nicht mehr verfügbar wäre. Dies war eine schwierige Entscheidung. Wir blieben dabei. Wir wollen jemanden der uns schleppen kann. Es meldete sich ein Schlepper – in 5h könnte er hier sein. Sehr gut! Diese 5h haben sich wie eine Ewigkeit angefühlt. Als der Schlepper ankam, teilte er uns mit, dass das Schleppen zu gefährlich ist. Die Anweisung war: aus eigener Kraft in den Hafen kommen. Mit nur einer Maschine gegen diese Wellen und Wind anzukommen ist vergeblich, mit Segelunterstützung schafften wir es dann doch, hart am Wind, in das Lee der Insel zu gelangen. Der Schlepper bietet uns Begleitschutz, im Notfall würde er uns aus dem Wasser fischen. Viele intensive Stunden vergingen.

Dann hatten wir noch einen Kabelbrand, der Rauch stand im ganzen Schiff, wir haben das Problem aber nicht gefunden. Alle Feuerlöscher standen bereit. Dem Schlepper gaben wir die Info, dass es sein kann, dass wir die ganze Elektronik verlieren und keine Verständigungsmöglichkeit mehr haben. Wenn wir das Segel weiß anleuchten, wollen wir den Kreuzschlag machen. Bei rot gibt es Probleme. Bei Seenotraketen sitzen wir in der Rettungsinsel… 

Die Nacht wurde noch lang, insgesamt wurden die Wellen und der Wind aber weniger. Gegen 6:00 morgens waren wir sicher im Hafen angekommen. Leinen fest! Der Schlepper verabschiedete sich und wünschte uns noch weiterhin alles Gute!

Nach ein paar Bier, einer Flasche Rum und einer heißen Dusche fielen wir halbtot ins nasse Bett.

In diesen vier Tagen haben wir erlebt, was kein Segler jemals erleben will.
Wir haben funktioniert. Die Notsituationen, wie man sie in der Theorie lernt, heruntergespielt. Es gab keine Diskussionen, es gab nur Lösungsorientiertes Denken. Step by Step. Es brach nie Panik aus. Jeder hat eine wichtige Funktion übernommen.
Zwischendurch gab es sogar immer wieder Situationen in denen wir lachen mussten. Z.B.: als zwei der Rettungswesten die durch die Frontscheibe hereingebrochene Welle aufgingen. Plop. Plop. Kurzes Gelächter.


Sollte ich jemals wieder in einen Seenotfall geraten, dann mit dieser Crew – wir sind NOTFALLSERPROBT. Jungs – Danke für diese tolle Zusammenarbeit!

DANKE! An all unsere Helfer, Papa und an die „alp Sweeper“, dass wir diese Nacht und den schweren Sturm wohlauf und unbeschadet überstanden haben.

Fair winds. 

Dieses Foto ist in unserem Nothafen „Vila do Porto“ auf Santa Maria entstanden, als wir gerade im Sturm, noch 300Sm vor den Azoren, mit den Wellen kämpften. Die Hafenmauer, dort wo die Wellen überkommen, ist von der Wasserlinie weg 8m hoch.

Zahlen:  +4 Tage // + 486 Sm // +1 Zwischenfall

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