Alaska Highway

3000 Kilometer zur Arbeit

Drei Wochen vor meinem dreißigsten Geburtstag, dem festgelegten Limit für dieses Vorhaben, habe ich kurzfristig einen Antrag auf ein Visum mit Arbeitsgenehmigung für ein ganzes Jahr in Kanada eingereicht, auch bekannt als „Work & Holiday“. Damals saß ich auf der „Ocean-Light“ einem Segel-Katamaran in Griechenland und habe nebenbei noch Urlaubsgäste bedient. Noch bevor ich über Athen wieder nach Hause fliege, gebe ich meine biometrischen Daten bei der kanadischen Botschaft ab um all meine benötigten Dokumente zu finalisieren. Fast ein ganzes Jahr später sitze ich auf der „Pallini„, auch wieder in Griechenland, und bringe die Planungen für das nächste Abenteuer in die Endphase.

Durch Zufall habe ich einen (hoffentlich) coolen Job gefunden:

Nachdem ich einige Bewerbungen in eine außergewöhnliche Gegend, für einen außergewöhnlichen Job, abgesendet habe, bekomme ich eine unerwartete email zurück – von einem Österreicher. Ich bin verwundert und einen Tag später treffe ich mich mit Ihm auf ein online-meeting auf österreichisch. Ich muss lachen – ich habe den Eindruck er freut sich, wieder einmal seine Muttersprache auspacken zu können. Er hätte einen Job als Tourguide für mich: Hauptsächlich für Polarlichttouren, nebenbei aber auch noch für Citytouren, Wildlife-Preseve Touren, Hot-Springs Touren und diverse Hotel Pickups mit dem Bus. Die Sache war sofort klar, es fehlen nur noch einige Detailplanungen. 

Mein Flug geht von Frankfurt am Main über Toronto nach Calgary. Nach mehr als 25 Stunden Anreise soll ich hier einen guten Start als temporärer Bürger Kanadas finden. Doch dafür muss ich noch einige Dinge erledigen. 

Um halb drei Uhr morgens checke ich im Flughafenhotel ein, um endlich ein paar Stunden Schlaf abzubekommen. Doch ich bin so aufgeregt, dass ich meine Augen nicht zubekomme. Wenige Stunden später besuchen mich zwei Australier die ich zuvor im Internet kennengelernt habe, sie werden das Land wenige Tage später verlassen. Das Pärchen hat nun auch ein volles Jahr Kanada hinter sich gebracht und die beiden haben nun einen Jeep mit vollständiger Campingausrüstung und Dachzelt abzugeben. Passend für mich. Nach einer kurzen Probefahrt zu meiner nächsten Unterkunft und ein paar Tausend kanadischen Dollar später, habe ich am allerersten Tag ein Auto gekauft. Einfach so. Der Jeep hat bereits einen Namen bekommen den ich einfach so übernehme: BIG RED. Punkt #1 auf meiner Liste ist abgehakt. Weil ich gerade voll im „Flow“ bin, führt mein Weg gleich weiter zur Fahrschule, ich beantrage einen kanadischen Führerschein. Dabei wird einfach der österreichische, sowie mein internationaler Führerschein, eingezogen und ich bekomme dafür einen kanadischen „Class 5“ ausgestellt. Am Rückweg eröffne ich ein Bankkonto und die Sozialversicherungsnummer kann ich noch direkt online beantragen. Nach einem erfolgreichen Start falle ich ins Bett und schlafe wie ein Baby. Nach dem Wochenende habe ich einen Termin bei der Autoversicherung und bei der „Plate Registry“, ab diesem Zeitpunkt habe ich ein versichertes Auto mit Kennzeichen. All diese Erledigungen funktionieren nach einem kleinen Papierkrieg einfacher als vorher gedacht.

Nach der ganzen Aufregung fordert mein Köper allerdings eine großzügige Pause ein und meine Erkundungstouren müssen noch eine Weile warten. Ich habe mir einen Virus eingefangen und verbringe ein paar Tage im Bett. Der Husten Plagt mich und setzt mich völlig ausser Gefecht. 

Für meinen folgenden Job brauche ich einen kommerziellen Führerschein, der hier in Kanada die Bezeichnung „Class 4“ hat. Dafür muss ich eine zusätzliche Theorieprüfung ablegen, einen Kurs dafür gibt es nicht, man lernt einfach die Unterlagen die online zur Verfügung gestellt werden. Für die Prüfung benötigt man auch keinen Termin, man kommt einfach ins Führerscheinzentrum und macht die Prüfung am Computer – „Multiple Choice“. 

„Easy Going“ – dachte ich mir, also probiere ich das einfach mal aus. Nur wenige Minuten darauf bin ich auch schon durchgefallen. Es kommen viele Fragen die ich zuvor noch nie gesehen habe, also lerne ich am selben Tag auch noch den „Basics“ Teil zusätzlich zum „Class 4“ Teil dazu. Am nächsten Tag versuche ich es nochmals, man kann den Test solange Wiederholen bis man in Ihn besteht, aber maximal einmal pro Tag: 15 Minuten und 17 CA$ später: Durchgefallen. „Vielleicht sollte ich doch etwas mehr als zwei Tage lernen?“ Am dritten Tage versuche ich es nochmals, doch das Ergebnis bleibt das gleiche. Immer noch sind viele Fragen dabei die ich noch nie zuvor gehört habe, ich lerne weiter. In Summe sind es über 550 Fragen die zu lernen sind. Beim vierten Versuch schaffe ich wieder nur 60% der Fragen, ich brauche aber 80% um den Test zu bestehen. Mittlerweile zweifle ich an mir selbst. Was läuft hier falsch? Zu Hause wird mir dann endlich klar, warum ich so viele Zahlen und Fakten noch nie zuvor gehört habe. Der Drucker hat beim „Class 4“-Teil einfach nur die Hälfte ausgedruckt, nämlich genau so, dass auch das aktuelle Kapitel zu ende war und mir das nicht weiter aufgefallen ist. Nachdem ich dann alles gelernt habe, habe ich den Test dann auch endlich bestanden. Natürlich ärgert mich dieser dumme Fehler, aber schlussendlich kann ich darüber lachen. 

Endlich habe ich alles erledigt was es zu erledigen gab. Es wird Zeit die Umgebung zu erkunden. Mein erster großer Ausflug mit dem Auto steht an. Ich fahre gut zwei Stunden von Calgary nach Drumheller, in die Badlands. Hier erinnert mich die Landschaft sehr an Kappadokien. Ein ausgetrocknetes Flussbett formt hier die Landschaft. Und genau hier gab es auch sehr viele Dinosaurierfunde. Die Stadt ist auch bekannt für die größte Dinosaurier-Statue der Welt. Im Anschluss führt mein Weg ins „Tyrrell Museum“ in eine faszinierende Welt der Vergangenheit. Ich bin beeindruckt. 

Meine Reise setzt sich fort. Ich mache mich endlich auf den Weg zu meinem zukünftigen Arbeitsplatz. Doch zuerst beginne ich gleich mit einem Umweg nach Canmore und in den Banff Nationalpark. Das ist so ziemlich die bekannteste Nationalpark hier in der Umgebung und da will ich schon seit längerer Zeit hin. Als ich weiter nach Lake Louise will, überrascht mich ein Schneesturm und ich muss den Zwischenstopp abbrechen. Der Schneefall ist zu wild, die Sicht zu schlecht und ohne Empfang will ich die Straßen ohne Service hinter mich bringen bevor ich mich festfahre. Da die Straßen im Winter auch noch wenig befahren sind, kann man sich hier auf Hilfe nicht verlassen. 

 

Canmore Engine Bridge

Am nächsten Tag stehen die Parkway Icefields und der Jasper Nationalpark am Programm. Das Wetter ist nicht das beste, aber ich versuche es trotzdem. Nach ungefähr 80 Kilometer beginnt der nächste Schneesturm. Die Straßen sind voller Schnee und unberechenbar. Nach einem Anstieg ins Gebirge und 30cm Schnee auf der Fahrbahn bleiben vor mir auf einmal zwei Fahrzeuge im tiefen Schnee stecken.  Zwei Allradfahrzeuge die auf dem Schnee aufsitzen. Das Problem ist, dass die Spur im Schnee nur einspurig ausgefahren ist – kommt Gegenverkehr muss man in den Tiefschnee ausweichen und man steckt fest. Nach einiger Zeit kommt ein großer Truck, kurz darauf ein zweiter, beide helfen bei der Befreiung. Für mich ist die Situation klar: mit meinem Frontangetriebenen Jeep stehen die Chancen eher schlecht. Ich drehe um. Ich werde aber definitiv im Sommer wieder kommen. 

Meine Reise führt weiter nach Edmonton. Hier soll ich unbekannte Verwandte kennenlernen. Noch wenige Wochen vor meinem Abflug, weiss ich von den Verwandten nichts, bis mir meine Oma erzählt, dass mein Ur-Ur-groß-Onkel „John Woldrich“ nach dem ersten Weltkrieg nach Kanada ausgewandert ist. Über längere Wege und diverse andere Kontakte komme ich zu Kontaktdaten aus Kanada mit denen ich mich sofort in Verbindung setze. Ich bin aufgeregt. Vor Ort werde ich sofort liebevoll und mit voller Freude empfangen, es besteht kein Zweifel – das ist meine Verwandtschaft. 🙂 Leider kann ich nur eine Nacht bleiben, denn mein Zeitplan und auch das Wetter will, dass ich den Weg weiter fortsetze. Nach dem Winter werde ich wiederkommen, das steht fest. Denn es gibt noch mehr Verwandtschaft zu besuchen und vor allem will ich mir ansehen, was mein Ur-Ur-groß-Onkel damals aufgebaut hat. Mir wurde von den Jasper House Bungalows erzählt, die mittlerweile leider nicht mehr in Familientradition weitergeführt werden. Nach einer Recherche auf Google bin ich überwältigt –  da muss ich hin. 

www.jasperhouse.com

Die Distanzen in Kanada, dem zweitgrößtem Land der Welt – fast so groß wie ganz Europa zusammen, sind unvergleichbar mit den Distanzen in Europa. Nach einem weiterem Tag im Auto habe ich bereits 1500 Kilometer hinter mich gebracht, das war aber bisher nur der Prolog. In Dawson Creek beginnt nun eine ganz besondere Etappe für die nächsten 1500 Kilometer durch die Wildnis. Der Alaska Highway. Auf diesen Abschnitt freue ich mich schon ganz besonders. 

 

Nachdem ich meine Ankunft beim MILE ZERO Meilenstein zelebriert habe geht es endlich los. Auf mich warten viele Kilometer, Natur und Wildnis weit abseits von Zivilisation, teilweise schlechtes Wetter und schwierige Bedingungen in unterschiedlichsten Temperaturbereichen. 

Der Alaska Highway bietet aber auch super coole Zwischenstopps.

Einer davon sind die „Liard River Hot Springs“ hier verbringe ich fast zwei Stunden im 42 grad (Celsius) warmen Wasser während rundherum die Kälte die Natur fest im Griff hat. 

Ein weiterer Zwischenstopp auf meiner Liste ist „Watson Lake„, ein kleines Dorf wo es wieder einmal minimale Versorgungsmöglichkeiten gibt. Außerdem muss ich mir hier den „Sign Post Forest“ etwas genauer ansehen. 

Ich traue meinen Augen kaum, als ich das erste mal wilde Bisons auf und direkt neben der Straße sehe. Völlig euphorisch springe ich mit der Kamera aus dem Auto um (aus sicherer Entfernung) Fotos zu machen. Doch die Bisons scheinen von meinem Fotos nicht so begeistert zu sein: eines der Tiere beginnt mit den Hufen zu scharren, ein anderes Tier sieht mich ziemlich entgeistert mit großen ernsten Augen an und brüllt. „OK…. ich gehe dann mal lieber wieder ins Auto“, Herzklopfen begleitet meine Weiterfahrt und später sehe ich sogar zwei Bisons beim Kampf. Nun wird mir klar: ich bin endgültig in der Wildnis angekommen und ich muss den Umgang damit erst noch richtig lernen. Ich fahre Vorsichtig, denn immer wieder stehen mehrere, manchmal bis zu 50 Stück, Bisons auf der Straße oder am Straßenrand. 

Später läuft auch noch ein Elch über die Straße, diverse Hirsche kann ich aus der Ferne ausmachen und einen kleinen flinken Schneehasen bekomme ich auch noch zu Gesicht. 

Bison
Moose

Knapp 1000 Kilometer fahre auch auf Schnee und Eis. Ich genieße dieses Abenteuer, die Wildnis ohne Zivilisation und die Freiheit. BIG RED meistert die Verhältnisse ohne Probleme. Ich bin verwundert wie gut alles funktioniert hat. Keine großen Zwischenfälle. 

Ich vertreibe mir die Fahrzeit mit vielen Zwischenstopps, mit Foto und Videoaufnahmen. 

Insgesamt habe ich sieben Nächte im Dachzelt geschlafen. Die wärmste Nacht verbringe ich dabei bei knapp über Null. Die restlichen Nächte sind deutlich unter Null. Doch desto weiter ich in den Norden komme, desto kühler wird es. Die Heizung funktioniert super. Ich fühle mich wohl im Dachzelt. In der kältesten Nacht fällt mein Thermometer allerdings auf -23C. Die Nacht ist unruhig, ich merke, dass meine Heizung an Ihre Grenzen kommt. Die Dieselpumpe arbeitet nun mindestens schon doppelt so schnell (und laut). Der Diesel ist schon ziemlich dickflüssig geworden. Blöderweise habe ich den ganzen Diesel schon in Calgary aufgetankt und meine Vermutung ist, dass hier noch kein „Arctic Diesel“ im Einsatz war. Im Zelt wird die Wärme immer weniger, bis um 4:00 Uhr Morgens die PowerStation (im Warmen gelagert) auch noch versagt. Ich starte das Auto, welches gerade noch so anspringt. (Wäre das nicht mehr angesprungen, hätte ich fünf Stunden lang, in der Kälte auf Hilfe warten müssen, bis die Tankstelle wieder aufsperrt.) Schlussendlich trete ich meine letzte Etappe nach Whitehorse schon viel früher an als gedacht, zwischendurch fällt das Thermometer noch weiter auf -31C. 

Camping bei -5C am Abraham Lake

Ich habe es geschafft. Ich bin in Whitehorse. Hier werde ich die nächsten vier Monate verbringen und hoffentlich große Abenteuer im kalten und wilden Yukon erleben. Zum ersten mal treffe ich meinen Arbeitgeber Northern Tales Travel Services Inc. und ich bin gespannt was mich alles erwartet. Ich werde wieder davon berichten. 

S.S. Klondike - Wahrzeichen von Whitehorse
Whitehorse

Ein paar interessante Facts zum Yukon und Whitehorse:

Die Provinz Yukon im Norden von Kanada ist ungefähr drei mal so groß wie England, hat aber nur rund 50.000 Einwohner und ungefähr 35.000 davon leben in Whitehorse. In den letzten Jahren ist die Population hier sehr angestiegen. Während wir in Österreich ungefähr 109 Einwohner pro Quadratkilometer verzeichnen (in Deutschland sind es 232EW/Quadratkilometer) sind im Yukon nur 0,1 Einwohner pro Quadratkilometer present. Bei diesem Vergleich wird sofort klar, warum die Stadt WhitehorseThe Wilderness City“ genannt wird. Hier treffen sich alle Naturverrückten, Fotografen und Abenteurer und starten Ihre Expeditionen in die Wildnis. Im Sommer sowie im Winter. 

INSTA STORIES:

Zahlen:  +38 Tage // +486 Bus- & Zugkilometer //  + 5633 Flugmeilen // + 4071 gefahrene Kilometer // +1 Land //+ 1 Zwischenfall: Dieselheizung versagt bei -24°C im Dachzelt

Tage: 

 26.10.2023 –

29.11.2023?

==>Tage: 34

perg-Frankfurt Zug: 486km

FRA-YYZ – YYC: 5633mi

Kilometer mit Big Red:

Startkilometer: 216278km

Endkilometer: 220349km

Differenz: 4071km

Postkarte:

In Kanada angekommen, Bürokratie gemeistert, unbekannte Verwandtschaft getroffen, vom Alaska Highwa begeistert. Polarlichttrianing im hohen Norden, macht euch keine Sorgen. Natur in Ihrer Pracht, Abenteuer macht, Ein Zauber erwacht, im Licht der Nacht. 

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